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Schauspielerin Jutta Wachowiak besucht die Sally-Perel-Gesamtschule

Am 9. November 2019 sahen 40 Schülerinnen und Schüler der Sally-Perel-Gesamtschule das autobiografische Stück “Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park“ im Haus 3 des Staatstheaters Braunschweig. Die Aufführung war Teil eines umfangreichen Projekts im Rahmen des 33. Internationalen Filmfests Braunschweig zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung: „Spät-Vorstellung – 30 Jahre danach“. Ein geplantes Gespräch zwischen den Schüler*innen und der Schauspielerin Jutta Wachowiak musste damals krankheitsbedingt ausfallen und wurde nun auf vielfachen Wunsch nachgeholt.

Die fast 50 Schülerinnen und Schüler eines Geschichtskurses, eines Kunstkurses und vom Darstellenden Spiel hatten den Musikraum der Schule liebevoll mit Sofas und Sitzkissen ausgestattet und zeigten sich gut vorbereitet. Ihre Fragen bezogen sich nicht nur auf das Theaterstück, sondern auch auf das Leben in der DDR und wie es sich nach 1989 verändert hat.

Nachdem sie eine gute Stunde erzählt und Fragen beantworte hatte, forderte die Schauspielerin ihr Publikum auf: „Ich quatsche hier die ganze Zeit, erzählt ihr doch mal“. Gerade hatte sie berichtet, dass sie sich für den Beruf der Schauspielerin wahrscheinlich schon als Kind entschieden habe. „Meine Eltern waren nicht sehr glücklich. Ich stellte schon als Kind fest, wenn ich Faxen mache, lachen die. Meine Mutter ging gern ins Theater und nahm mich oft mit“, so Wachowiak.

Was die jungen Leute denn so vorhätten? Informatik studieren, Sozial- und Kunsttherapie antworteten die Schüler*innen. „Alles, was mit Menschen zu tun hat und ihnen das Gefühl gibt, wertvoll zu sein, das werden Berufe sein, die trotz aller Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz weiter Bestand haben. Das fühl ich. Fühlen tu ich das ziemlich genau – wissen nicht so.“, meinte die 79-jährige daraufhin.

Ein großer Unterschied zu ihrer Jugend in der DDR und heute sei, dass Geld in der DDR eine geringe Rolle spielte, was dazu führte, dass sich die DDR-Jugendlichen andere Werte aneigneten. Wenn wie heutzutage Geld und Wachstum das allerwichtigste seien, entstehe eine andere Prägung – und die sei schwer zu ändern. „Der Vorwurf, dass wir (in der DDR) indoktriniert waren, ist richtig. Dass die Menschen im Westen aber genauso indoktriniert wurden, nur viel subtiler, stimmt ebenso“, ist Wachowiak überzeugt. Das Lebensgefühl sei ein ganz anderes gewesen: „Wir waren auf dem Weg. Noch lange nicht angekommen, aber auf dem Weg in den Sozialismus. Wir hatten das Gefühl, es kommt auf jeden einzelnen an.“

Nach ihren ersten Eindrücken vom Westen gefragt, erwähnt Jutta Wachowiak die Farben und den schwer durchdringbaren Warendschungel. An einen ihrer ersten Besuche in der neuen bunten Warenwelt könne sie sich noch gut erinnern. „Ich bin unten in die Parfümabteilung des KaDeWe hingegangen. Da kam mir eine Parfümwolke entgegen - ich fühlte ich mich wie chloroformiert und bin sofort wieder umgedreht!“

Und was bedeutete die „Wende“ für das Theater? „Das Ensemble des Deutschen Theaters war legendär“, so Wachowiak, aber gleichsam über Nacht habe sich die Einheit zerlegt. „Egoismus, Selbstdarstellung, die Sucht nach Originalität wurden immer wichtiger, das fand ich unzureichend. Das ist nicht gut fürs Theater, denn das ist ja eine kollektive Kunst.“

Nach dem Umbruch kamen neue, junge West-Regisseure, die sich einer anderen Sprache bedient haben. Sie gaben weniger eine Richtung vor, seien anders sozialisiert gewesen, was besonders bei künstlerischen Debatten auffiel: „Ich hatte meine Zweifel: Bin ich jetzt altmodisch? Oder irrt der sich?“, beschreibt Wachowiak ihre Unsicherheit.  Hinzu kam die fehlende Anerkennung der bisherigen künstlerischen Arbeit, die viele gestandene Darsteller*innen als Entwertung empfanden. Sie habe dann das Ensemble in Berlin verlassen und viele Jahre gebraucht, um unter den neuen Bedingungen wieder am Theater Fuß zu fassen.

Erst mit ihrem Solostück kehrte sie 2018 zurück nach Berlin ans Deutsche Theater. Natürlich habe sich auch das Publikum geändert. „Ost- und West-Publikum reagieren in der Vorstellung unterschiedlich, sie lachen zum Beispiel an anderen Stellen“, erzählt Wachowiak.  

Fazit der Schülerinnen und Schüler: ein Zeitzeuginnen-Gespräch von besonderer Bedeutung mit authentischen Informationen über die DDR und die Umbruchzeit nach 1989, die sie bisher nicht kannten und über die sie bisher nicht nachgedacht hätten.