EN

Das 31. Filmfestival 2017

Den Anfang machten die großen Filmkomponisten: Das 31. Internationale Filmfestival Braunschweig eröffnete mit dem Filmkonzert MATRIX LIVE. FILM IN CONCERT und der Komponist der Filmmusik, der Amerikaner Don Davis, dirigierte selbst das Staatsorchester Braunschweig. Weit über 1.000 Zuschauer verfolgten den Sci-Fi Thriller und sorgten bei der legendären Pillenszene für Geraschel. Nicht nur Neo sondern auch die Zuschauer mussten sich für die rote oder die blaue Pille entscheiden, die ein Sponsor bereitgestellt hatte.

Gleich am folgenden Abend lud der Oscar-Preisträger Jan A.P. Kaczmarek zu einem „Gesprächskonzert“ in die Braunschweiger Schloss Arkaden. Moderator Matthias Hornschuh sprach mit dem polnischen Filmkomponisten über ausgewählte Beispiele seines umfangreichen Schaffens und den Unterschied zwischen Hollywood und Europa. Ein Ensemble des Staatsorchesters Braunschweig spielte Stücke aus Filmen wie „Hachiko“ oder „Untreu“, die auch in der Kaczmarek gewidmeten Retrospektive zu sehen waren.

Zwei Berliner vervollständigten das Filmkonzert-Programm des Festivals. Die Bassistin Inma Galoit spiegelte die düstere Atmosphäre von Annan Levinsons Graphic Novel „Evelyn“ mit ihrem Ensemble „La Rosa Negra“ mit präpariertem Klavier und Effekten. Als Beitrag zum Reformationsjahr zeigte das Festival in Kooperation mit der Evangelischen Landeskirche Stephan Graf von Bothmer mit dem Filmkonzert „Luther“. Zu Hans Kysers protestantisch-nationalkonservativem Zeitdokument spielte Bothmer die von ihm neukomponierte Filmmusik am Flügel im Braunschweigischen Landesmuseum. Dass sich über den Film aus dem Jahr 1928 noch immer trefflich streiten lässt, zeigte die anschließende Diskussion, die Henning Noske von der Braunschweiger Zeitung moderierte.

Die Sektion „Musik und Film“ ergänzten zwei Vorträge zu Musikvideos. „Was wollen die? Musik Video Showcase“ fragen Tanja Godlewsky und der Musiker Gregor Schwellenbach vom Institut für Populäre Musik der Folkwang Universität.

Die ukrainische Künstlerin und Kuratorin Alina Gordiyenko stellte in ihrem Vortrag „Watch the Music – Eastern European Way“ die Entwicklung osteuropäischer Musikvideos vor und nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ vor.

Musik stand auch im Mittelpunkt der „Sound on Screen“-Reihe mit sechs aktuellen Musik-Dokumentationen, darunter die Deutschland-Premiere des Tour-Films „Placebo: Alt.Russia“, für die Regisseur Charlie Targett- Adams nach Braunschweig kam.

Die Ausstellung „Never Ending Stories“ im Kunstmuseum Wolfsburg begleitete das BIFF mit einer einer filmischen Reflektion zum Thema. Die Retro zum Thema Loop, der heute fester Bestandteil der Popkultur, u.a. in Musik, Tanz, Musikvideo, Computerspiel ist. Noch bis Februar werden die sechs Filme, von denen Omer Fasts „Remainder“ auf dem Festival der Beliebteste war, im Kunstmuseum wiederholt.

Mit "Neo Western" setzte das Festival einen besonderen thematischen Schwerpunkt: Pußta anstatt Prärie wie in der deutschen Premiere von der ungarischen Produktion "Coyote" von Márk Kostayá oder eisige Kälte statt sengender Sonne wie in "Law of the Land" von  Jussi Hiltunen aus Finnland. Die Filmauswahl zeigte, dass gewissen Genrekonventionen jenseits der Grenzen amerikanischer Vergangenheitsbewältigung zu Versatzstücken gemausert haben.

Um unsere aller unmittelbare Zukunft kreisten die Themen der GREEN HORIZONS Reihe zum Thema Nachhaltigkeit, etwa mit der deutschen Premiere von ASTRAL, einer Dokumentation über die Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute von Lybien nach Italien.

Zum ersten Mal widmete sich das Festival mit der Reihe „Que*rschnitt - neue LGBTQI*-Filme“ der Vielfalt abseits des heteronormativen Kinos. Star der Reihe war eindeutig Juwelia, die Protagonistin aus Rosa von Praunheims „Überleben in Neukölln“ mit einem umjubelten Auftritt im „Onkel Emma“. Um starke Frauen, die ihrem Schicksal entschlossen entgegentreten und dafür vor unkonventionellen Mittel nicht zurückschrecken, ging es in der Mitternachtsreihe „Witches at midnight“.

Die am schnellsten ausverkaufte Vorstellung fand sich - wie schon im Vorjahr – im „Heimspiel“, der Reihe für Produktionen aus Braunschweig und der Region. Der so genannte Braunschweig Tatort, der Sanddorn-Krimi „Kontrollverlust“ von Jonas Jarecki lockte alle Mit wirkenden und deren Freunde und Bekannte in den Saal.

Gut besucht waren auch die beiden Workshops. Tim Mittelstaedt und Anna Weisenberger vom APITs Lab der nordmedia informierten über 360°- und VR-Technik. Sebastian Droschinski und Nich Buckenauer vom Hamburger Wendie Webfest stellten die „Webserie, das unbaknnte Wesen“ vor.

Einmal mehr war das „Neue Internationale Kino“ die publikumsstärkste Reihe. Der als deutsche Premiere laufende, amerikanisch-französische „Katie says goodbye“ von Wayne Roberts, der Debütfilm von Kirsten Tan „Pop Eye” aus Thailand, sowie der Cannes-Gewinner “The Square” von Ruben Östlund waren die Publikumsrenner.

In der Reihe „Neue Deutsche Filme“ waren die Vorstellungen von Jan Henrik Stahlbergs „Fikkefuchs“ und Markus Gollers „Simpel“ schnell ausverkauft. Regisseurin Barbara Albert präsentierte „Licht“, Oliver Kienle und Markus Reinecke stellten ihren Thriller „Die Vierhändige“ vor, Mascha Schilinski ihr Kammerspiel „Die Tochter“, Tom Lass seine Komödie „Blind & Hässlich“, Felix Randau den Ötzi-Thriller „Der Mann aus dem Eis“ und Martin Guggisberg die Politkomödie „Usgrächnet Gähwilers“.

Die Filmreihe "Beyond" zeigt Filme, die neues wagen und thematische oder visuelle Risiken eingehen. Der beste Film der Reihe erhält den "Schwarzen Löwen", der mit 2.500 Euro dotiert ist und von Volkswagen Financial Services unterstützt wird. In "Beyond: Faith" thematisierte das Festival mit sechs Filmen, darunter zwei Deutschlandpremieren, wie man den Weg des Glaubens findet, wenn der Kern des Glaubens verstellt ist.

Premieren und Gäste sind traditionell das Markenzeichen des „Heinrichs“, dem Publikumswettbe-werb für europäische Debüt- und Zweitfilme. Die Produzenten Conrad Alebas und Jamillah van der Hulst begleiteten den im verschneiten Georgien spielenden „Dede“ von Mariam Khatchvani. Regisseur Olof Spaak und Produzentin Sofie Palage zeigten das Familiendrama „Garden Lane“ aus Schweden. Regisseurin Ties Schenk präsentierte die Tragikomödie „Monk“ aus den Niederlanden. Regisseurin Sonja Krömer brachte ihr Familienporträt „Sommerhäuser“ mit nach Braunschweig. Katarina Zrinka Matijevic aus Kroatien zeigte ihr Mutter-Tocher-Drama „The Trampoline“.

Regisseurin Nathalie Teirlinck aus Belgien war mit „Past Imperfect“ zu Gast. Aus Irland kam Game of Thrones-Schauspieler und Hauptdarsteller im britischen Thriller „Bad Day for A Cut“. Außerdem liefen die rumänisch-französische, schwarze Komödie „Charleston“ von Andrei Cretescu, „A Date for Mad Mary“ aus Irland von Darren Thornton und der französisch-belgische Abenteuerfilm „Les Cowboys“ von Thomas Bidegain.

Das Festival schloss mit starken Frauen ab: Stargast Nina Hoss nahm die "Europa" dotiert mit 15.000 Euro entgegen. Davor zog sie im Gespräch mit Daniel Kothenschulte die Zuschauer in den Bann.

„A Date for Mad Mary“ begeisterte das Publikum und erhielt den „Heinrich“, den Publikumspreis für den besten europäischen Debüt- oder Zweitfilm mit 10.000 Euro Preisgeld. Darstellerin Charleigh Bailey nahm den Preis für den irischen Regisseur Darren Thornton entgegen.
Den „Schwarzen Löwe“ für den besten Film der Beyond-Reihe vergab die Jury mit Produzentin Dagmar Niehage, Filmemacherin Nicole Wegner und Filmkomponist Gregor Schwellenbach an Federica Di Giacomo für „Libera Nos“. 

Regisseurin Nathalie Teirlinck hatte ebenso Grund zum Jubeln, sie freute sich für ihr berührendes Werk „Past Imperfect“ über den Deutsch-Französischen Jugendpreis KINEMA. Die Braunschweigerin Nora Fingscheidt überzeugte die Heimspiel-Jury mit Schauspieler Detlef Bothe, Regisseurin Anna Linke und Vorjahresgewinner Lars Jordan mit ihrer Dokumentation „Ohne diese Welt“ über eine Mennoniten-Gemeinde in Argentinien.

Nach der doch sehr umfänglichen Jubiläumsausgabe vom letzten Jahr hatte Festivaldirektor Michael P. Aust das diesjährige Programm deutlich gestrafft, was für mehr ausverkaufte Veranstaltungen sorgte. Aust zeigte sich angesichts der erneut rund 25.000 Besucher sehr zufrieden: „Das Festival war ein Triumph des europäischen Arthouse-Films – ich freue mich, dass wir so viele spannende Filmemacher, Schauspieler und Filmkomponisten zu Gast hatten. Vier der fünf Preise des BIFF gingen in diesem Jahr hochverdient an Frauen, sie alle haben eine ganz eigene filmische Sprache gefunden. Diese Konstellation ist auch ein Hinweis darauf, dass das europäische Kino in dieser Frage schon ein bedeutendes Stück weiter ist als das deutsche.“

Insgesamt zeigte das Festival an sechs Tagen 264 Filme aus 42 Ländern. Davon waren 100 Langfilme, von denen 21 ihre Deutschland-Premiere und eine Produktion ihre Weltpremiere in Braunschweig feierten. Außerdem laufen 164 Kurzfilme, davon 30 als deutsche und fünf als Weltpremiere, 32 Musikvideos außerdem ca. 30 Filme, die von Kindern und Jugendlichen gedreht wurden.