Das 37. Filmfestival 2023

Rückkehr auf die große Bühne der Volkswagen Halle
Am 07. November 2024 hatte das lange Warten endlich ein Ende und das 37. Braunschweig International Film Festival wurde eröffnet. Beim Eröffnungsfilmkonzert zu Michael Dudok de Wits Animationsfilm DIE ROTE SCHILDKRÖTE (Frankreich, Japan, Belgien 2016) waren die Besucher:innen zu Gast bei einer Weltpremiere . Erstmals erklang Laurent Perez Del Mars von der „International Film Music Critics Association“ als „Best Original Score for an Animated Film“ ausgezeichnete Musik live zum Film DIE ROTE SCHILDKRÖTE. „Wow, genau so haben wir uns das alle gewünscht“, strahlte der Filmfest-Vereinsvorsitzende Thorsten Rinke in seinem Grußwort, mit Blick auf volle Ränge und gespanntes Publikum. Zuletzt gastierte das Braunschweig International Film Festival 2014 in der Volkswagen Halle. Dank der Unterstützung der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der langjährig guten Zusammenarbeit mit dem Staatstheater sowie Staatsorchester Braunschweig, konnte nun wieder auf die große Bühne zurückgekehrt werden – und das mit vollem Erfolg. Mit knapp 2.000 Besucher:innen war dies der am besten besuchte Festivalstart seit 2012, als das Filmfestival erstmalig mit einem Filmkonzert eröffnet wurde.

Cécile de France nimmt Die Europa entgegen.
Am Festivalsamstag kam mit Cécile de France der internationale Glamour in die Löwenstadt. Am Vormittag traf sich die belgische Schauspielerin mit diversen interessierten Medienvertreter:innen, bevor der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Daniel Kothenschulte mit de France im ASTOR Filmtheater über ihren Werdegang und ihre Arbeit als Schauspielerin sprach. Bei der feierlichen Preisverleihung im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig nahm Cécile de France zum Abschluss die Auszeichnung DIE EUROPA für ihre herausragende darstellerische Leistung in der europäischen Filmlandschaft und ihre Verdienste um die europäische Filmkultur entgegen. Ihr Werk BONNARD, PIERRE ET MARTHE (2023) feierte beim diesjährigen BIFF seine Deutschlandprämiere. Außerdem wurden zu Ehren ihres Schaffens fünf weitere ihrer Filme beim Braunschweig International Film Festival gezeigt, die Cécile de France selbst auswählte. Ihre Wahl fiel auf EINE GRÖSSERE WELT, HERE AFTER – DAS LEBEN DANACH, HIGH TENSION, LA BELLE SAISON – EINE SOMMERLIEBE und WILD WIE DAS MEER.

WHEN IT MELTS gewinnt Jubiläumspreis
Ein bedeutendes Jubiläum wurde in diesem Jahr mit dem Publikumspreis Der HEINRICH gefeiert. Seit 1999 verleiht das Braunschweig International Film Festival gemeinsam mit seinem Hauptsponsor, Volkswagen Financial Services (VWFS), den begehrten Publikumspreis für den besten Film im Hauptwettbewerb. Somit markierte dieses Jahr bereits das 25. Jubiläum dieser Auszeichnung. Zusammen mit dem Volkswagen Financial Services Filmpreis bildet er den Hauptwettbewerb des Braunschweig International Film Festivals. In diesem Jahr waren sich Jury und Publikum offenbar einig, sodass beide Preise an das Drama WHEN IT MELTS von Veerle Baetens (Belgien, Niederlande 2023) gingen, das bei dem 37. Braunschweig International Film Festival Deutschlandpremiere feierte. Das Regiedebüt von Schauspielerin Veerle Baetens erzählt die Geschichte der zurückhaltenden, beziehungsunfähigen jungen Frau Eva. Nach und nach enthüllt sich die Geschichte ihrer Kindheit: In Rückblenden zeigt sich die gnadenlose Beziehung von Jugendlichen untereinander, Evas Kampf um Akzeptanz, das Begreifen der körperlichen Veränderungen – sie ist mit all ihren Problemen allein.

Eine "wahnsinnig geeherte" Nachwuchsschauspielerin
Noch lange beeindrucken wird Nachwuchsschauspielerin Eline Doenst, die den Braunschweiger Filmpreis mit nach Hause nahm. Die 2006 in Berlin geborene Schauspielerin überzeugte die Jury mit ihrer facettenreichen Darstellung der Hauptrolle in JONJA von Regisseurin Annika Mätzke (Deutschland 2023). „Eine bemerkenswerte Darbietung, die uns tief beeindruckt hat. Selbst in den Momenten, in denen Du im Film nicht gesprochen hast, bist Du wahrhaftig. Zerbrechlich, dabei gleichzeitig undurchdringlich und selbstbewusst“, lautete die Lobeshymne der Jury. Doenst selbst fehlten nach Übergabe des Preises beinahe die Worte: „Das Schauspiel macht mir so viel Freude – ich liebe es. Und heute fühle ich mich einfach nur wahnsinnig geehrt“, so die Berlinerin.
Seit 2019 verleiht das Braunschweig International Film Festival den Frauenfilmpreis Die TILDA. Dieser ist seit 2023 mit 6.000 Euro dotiert, die von 75 Stifterinnen aus der Region gespendet werden. Das Anliegen der Stifterinnen ist es, filmschaffende Frauen in all ihrer Diversität sichtbar zu machen. Ein weiteres wichtiges Ziel des Filmpreises ist darüber hinaus, Regisseurinnen zu ermutigen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und deren Werke nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. In diesem Jahr ging Die TILDA an die brasilianische Filmemacherin Lillah Halla, die für ihren Film POWER ALLEY (Brasilien, Frankreich, Uruguay 2023) ausgezeichnet wurde.

"Es ist schön, dass ich diese Geschichte mit euch teilen kann"
Mit dem Green Horizons Award wird seit 2018 der beste Film zum Thema Nachhaltigkeit geehrt – er ging an Regisseur Matthieu Rytz für DEEP RISING (USA 2023), ein Werk über das empfindliche Ökosystem der Tiefsee. Jurymitglied Alessandro Lombardo (Filmverleih mindjazz pictures) dazu: „Jeder Film dieser Reihe bringt ein wichtiges Thema, und verdient es, geschaut zu werden. Manche Filmschaffende haben bis zu zehn Jahre Arbeit in ihr Werk investiert.“ Preisträger Rytz gab die Blumen sinngemäß weiter: „Ich freue mich vor allem für unseren Planeten und den Ozean, dass der Film diesen Preis gewonnen hat. Es ist schön, dass ich diese Geschichte mit euch teilen kann.“
Der queere Filmpreis ECHT, der in Kooperation mit dem Verein für sexuelle Emanzipation e.V. verliehen wird, ging an Tünde Skovrán für den Dokumentarfilm WHO AM I NOT (Rumänien, Kanada 2023). „Der Film ist eine Erinnerung daran, dass das Leben in seiner Vielfalt existiert. Er bestärkt: Die queere Community will keine Sonderrechte, sondern einfach nur ihre Rechte“, so Dudley. Das unterstrich auch Preisträgerin Skovrán: „Die Natur ist es nicht, die Grenzen zwischen uns zieht – wir sind es.“ Eine lobende Erwähnung sprach die Jury des ECHT gleichzeitig für ALONG CAME LOVE von Regisseurin Katell Quillévéré (Frankreich, Belgien 2023) aus. „Ein begeisterndes Drama, das uns als Jury nachhaltig beeindruckt hat.“

Heimspiel Preis für die Gifhornerin Vanessa Donelly
Tatjana Biallas, Geschäftsführerin der FUNKE Medien Niedersachsen GmbH und damit Vertreterin des Preissponsors Braunschweiger Zeitung, überreichte den Heimspiel Preis an die Gifhornerin Vanessa Donelly für ihre Filmkomposition in THE ANGEL IN THE WALL (Italien 2022, Regie: Lorenzo Bianchini). Sichtlich gerührt nahm Donelly die Auszeichnung entgegen und beschrieb ergriffen: „Musik ist meine Leidenschaft. Es ist das, was ich am besten kann und was ich mein ganzes Leben schon mache.“ Dabei will sie mit ihren Kompositionen keinesfalls im Hintergrund verweilen: „Ich wünsche mir, dass die Menschen aus dem Kino herauskommen und direkt nach der Filmmusik suchen.“ Ergriffen war auch die Jury, die ihre Entscheidung wie folgt begründete: „Vanessa besitzt als Komponistin die Fähigkeit, den Puls einer Szene zu verstehen und die unausgesprochenen Ängste und Sehnsüchte einer Figur zu fühlen. Flüchtige Emotionen übersetzt sie in eine Sprache, die alle verstehen: die Musik. In THE ANGEL IN THE WALL begleitet ihre Komposition nicht nur die Bilder – sie interagiert mit ihnen.“
Eine ganz besondere Jury wird bereits seit 2007 für den deutsch-französischen Jugendpreis KINEMA zusammengestellt. Sechs deutsche und französische Schüler:innen vergeben den Preis für den besten französisch- oder deutschsprachigen Debüt- oder Zweitfilm. Als Vertreterinnen der KINEMA-Jury erklärten Sara Nouri und Sarah Brahim RAPTURE von Angela Ottobah (Frankreich 2023) als ihren Gewinnerfilm. Das Psychodrama porträtiert die Geschichte eines jungen Mädchens, das alleine mit ihrem chronisch kranken Vater lebt, welcher im Laufe des Filmes zunehmend seine Tochter Paula von jeglichen Einflüssen der Umwelt isoliert. Er tut dies mit verstörenden Mitteln der Manipulation und des Missbrauchs, wobei der:die Zuschauende Zeug:in von Paulas wachsender Angst und ihrem Vertrauensverlust in den Vater wird.
Nachdem die Auszeichnung für den besten Kurzfilm im Vorjahr Premiere feierte, kann sich Regisseur Priit Tender als zweiten Gewinner dieser Ehrung bezeichnen. Sein Kurzfilm DOG APARTMENT (Estland 2022) begleitet den gescheiterten Balletttänzer Sergej in seinem alltäglichen Kampf mit der Routine, den Haustieren und dem Alkohol. Per Video dazu geschaltet sorgte Tender für einen Lacher im Saal. „Nun kann ich also voller Stolz sagen: Ich bin ein Braunschweiger.“